SCHWARZMALER
RAYK GOETZE
TEXTE
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Rede Bürgermeister Thomas Beyer zur Ausstellungseröffnung Rayk Goetze – „Schwarzmaler“Meine sehr verehrten Damen und Herren,herzlich willkommen zu dieser Ausstellungseröffnung „Schwarzmaler“ in der Galerie Hamann.Warum nun eröffne gerade ich als Bürgermeister der Hansestadt Wismar die Ausstellung?
Ich habe mich gefreut, als Kristine Hamann mich darum bat. Ich habe mich deswegen gefreut, weil ich damit Gelegenheit bekomme, einmal mehr auszudrücken, wie gut es ist, dass es diese Galerie, diesen Ort der Kunst in unserer Stadt gibt. Neben der kleinen Galerie hinter dem Rathaus, dem Kunstraum St. Georgen, den regelmäßigen Ausstellungen im Schabbell und Galerien einzelner Künstler braucht es gerade diese Galerie, die sich auch über Wismar hinaus mittlerweile einen Namen gemacht hat, weil sie mit den Künstlerinnen und Künstlern, die sie ausstellt, noch einmal zusätzlich etwas aufscheinen lässt von der Vielfalt künstlerischer Positionen und uns damit zusätzlich Zugang zu dieser Welt in unserer Welt-Erbe- Stadt schafft.
Heute also sind es Bilder von Rayk Goetze. Als ich mich etwas näher mit den Bildern von Rayk Goetze befasste, mit Kristine Hamann über dessen Arbeiten sprach, das eine oder andere las und immer wieder online mich in die Arbeiten versenkte, wurde mir ehrlich gesagt etwas blümerant.
Wie soll ich das in Worte fassen, was ich sehe? Was ich empfinde, welche Gedanken mir durch den Kopf gehen, welche Assoziationen? Dass die Bilder faszinierend für mich von Anfang an waren im Wortsinn, also verzaubernd, ja manchmal auch irritierend, dass sie mir Zutritt in andere Welten verschaffen, Welten, in denen Zeit z. B. anders erlebbar ist, habe ich von Anfang an gespürt. „Zeitdiagnostik und Zeitlosigkeit stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander“ sagt Christoph Tannert. zutreffenderweise zu Arbeiten Rayk Goetzes in der Ausstellung im Kurhaus in Warnemünde im Jahr 2022. Wie also kann ich das, was ich sehe, ausdrücken? Kann ich mich ihm von der Biografie her nähern?
Rayk Goetze wurde 1964 in Stralsund, unserer Schwesterstadt im Welterbe, geboren.Er ist in Rostock-Lütten Klein aufgewachsen. Er konnte gut schwimmen, kam zur KJS Potsdam, zur Kinder- und Jugendsportschule also. Schon damals hätte er viel gezeichnet, berichtete er einst. Das sei, so wird er zitiert, „eine Form von Rückzug aus den vielen kollektiven Räumen der DDR“ gewesen.
Rayk Goetze studierte in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Arno Rink und Neo Rauch haben ihn sicher nachhaltig geprägt, diese beiden Vertreter der neuen Leipziger Schule. Aber auch andere Einflüsse sind erkennbar: Christoph Tannert sagt dazu, ich zitiere ihn erneut: „Ob Frührenaissance oder 20. Jahrhundert, Piero della Francesca oder Francis Bacon, Rayk Goetze zitiert und bindet zusammen, was über alle Epochenschranken hinweg neue Bildereignisse ermöglicht.“
Ja, wenn ich weiß, welchen Einflüssen der Künstler sich geöffnet hat, kann ich mich seinen Bildwelten nähern, aber das allein, ist es nicht.Wie also kann ich vor allem artikulieren was ich sehe? Hilfreich dafür, Empfundenes, Gesehenes ins Wort zu bringen, war wiederum Christoph Tannert:
„Rayk Goetze ist ein Maler delikater Mischungsverhältnisse. Dafür ist er bekannt. In seinen Bildern treffen aufeinander: Replantationen von bildgeschichtlichen Partikeln unterschiedlicher Zeiten und Stile, bewusst roh inszenierte Oberflächenzonen und feingeistig ausgearbeitete Lasuren, Farbschlamm und Konkretionen, Hitze und Erfrischung. Goetze arbeitet an Assoziationsräumen. Immer geht es ihm um das Phänomen Malerei und um Zeitlosigkeit. Farbe und Form `verhandeln Lebensgegenwart, aufgeladen von den Mysterien unseres Daseins,` wie er sagt. Sein Denken in Bildern schließt das freihändige Sich-Bewegen auf der Zeitachse mit ein. Daraus folgt für ihn die absolute Gegenwärtigkeit des Historischen, die Gleichstellung von gestern und heute, die Enthierachisierung kunstgeschichtlicher Epochen.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gar nicht lange her, da standen sich figürlich und abstrakte Malerei, in Deutschland zumindest, geradezu feindselig gegenüber. Diese Diskussion haben wir selbst hier in Wismar erlebt. Die Bilder von Rayk Goetze scheinen beides, Figürliches und Abstraktes, zu vereinen, durchaus in der Tradition der neuen Leipziger Schule. Marco Hompes, Leiter des Kunstmuseums Heidenheim hat zu dieser Ausstellungseröffnung in der Galerie Hamann einen lesenswerten Text verfasst. Ich zitiere: „Rayk Goetze malt Figuren, Portraits, Tiere, Blumen und Anderes. Doch je länger man sie anschaut, desto klarer wird, dass sie einem gar nichts erzählen. Sie sind Einladungen zum Schauen, im Kern geht es um die Malerei. Die ganze Oberfläche der Leinwand wird mit unterschiedlichen Möglichkeiten des Farbauftrags gefüllt. Konzentriert man sich nur auf diese, dann springt das Auge von einer pastosen Fläche hin zu einer mit Schablone exakt gestalteten Struktur, hin zu abgekratzten Farbflächen, Gekrakeltem. Die oft recht detailliert ausgearbeiteten, bisweilen an die Kunst der Renaissance erinnernden Körper und Gesichter sind im Kosmos des Malers nur eine von vielen möglichen Formen des Ausdrucks, die alle in seinen Gemälden zusammenfinden und so eine malerische Spannung von hohem Ausmaß kreieren.“
Und weiter: „Goetze findet Inspirationen und Anleihen in allen möglichen Quellen. Die Renaissance, der sozialistische Realismus und andere Stile, bzw. Fragmente davon, werden von ihm in seinen malerischen Kosmos überführt. Seine figurativen Elemente sind zwar ohne Symbolcharakter, aber nicht referenzlos. Sie finden ihren Ursprung in spezifischen Malweisen, Körperhaltungen oder Kompositionen.“ An dieser Stelle weiß ich nicht, ob Hompes Recht hat, das den Figuren tatsächlich Symbolcharakter fehlt oder wie er an anderer Stelle sagt, dass dem Künstler das Interesse an einem wie auch immer gearteten Realismus fehlen würde.
Dass es ihm vornehmlich um die Malerei an sich geht, ja, das sehe ich auch so. Dass er uns aber vornehmlich irritieren wolle, um vor allem zum Schauen zu kommen und die gemalten Figuren z. B. keine Bedeutung haben, das glaube ich selbst nicht. Vielmehr räumt er uns, den Betrachtern, einen Spielraum ein, durchaus auch dem Figürlichen Bedeutung beizumessen.
Christoph Tannert sagte in Warnemünde: „Rayk Goetze ist ein Kampfschwimmer im Fluss der Malerei. Wenn er eintaucht, lässt er uns schauen und erstaunen. Er ist ein Sinnsucher, der mehr weiß als die, die immer genau zu wissen meinen, was `die realen Probleme` sind, denen sich gefälligst auch die Kunst zu widmen habe.“
Das, meine Damen und Herren, empfinde ich selbst auch so. Und das ist eben gerade das Gute, dass Kunst uns über die realen Probleme hinausführt. Deswegen brauchen wir Kunstorte wie diesen und außergewöhnliche Kunst wie die von Raik Goetze.
Das Bild „Die Insel (Landschaft mit Papagei)“, das auch in dieser Ausstellung zu sehen ist, hat es mir vom Anfang an angetan. Tannert nennt es Sehnsuchtsbild. Dem könnte ich mich anschließen. Es ist großartig. Das Großartige ist vor allem im Schauen zu entdecken, ohne groß nachzudenken und das alles jenseits der „realen Probleme“.
Vielen Dank an Rayk Goetze.
Vielen Dank an Kristine Hamann.
Die Ausstellung darf ich damit eröffnen. -
Rayk Goetze
“Schwarzmaler”
Galerie Kristine Hamann
10.12.2022 — 31.1.2023Vor einigen Jahrzehnten glich die Malerei noch einer weiten Landschaft mit voneinander abgetrennten Feldern. Es gab Maler oder Malerinnen, die sich gänzlich der Abstraktion verschrieben hatten, solche, die mit mathema- tischer Präzision konkrete Formen auf die Leinwand brachten, andere, die nicht von der Figur lassen wollten, diese aber im Zuge einer „Neuen Figuration“ in einem expressiven Farbauftrag auflösten und natürlich Kunst- schaffende, die sich ganz dem Realismus verschrieben hatten. Freilich waren die Grenzen dieser Felder zumeist nicht undurchlässig. Manch einer wechselte im Laufe der Zeit das Gebiet und machte es sich in einem anderen bequem, andere sind eher in einem Grenzbereich anzusiedeln. Lediglich in Deutschland trennte lange Zeit kein schmaler Zaun, sondern eine mehr oder minder massive Mauer zwei recht konträre malerische Territorien. Nun ist es das Wesen der Kunst, besonders der des 20. Jahrhunderts, dass an jeglichen Grenzen, die ihr aufgezeigt werden, gerüttelt wird. Wenn etwa ein Gerhardt Richter selbstbewusst figurativ und abstrakt malte, positionierte er sich zeitgleich in zwei Feldern, die zuvor noch einer semipermeablen Membran geglichen hatte. Grenzen erodierten und Mauern fielen, nicht nur politisch, sondern auch malerisch. Es wurden gesampelt, gemixt, zitiert, vermengt und Neuinterpretationen gewagt.
Besonders spannend war diese malerische Flächenebnung in Leipzig, wo etwa Arno Rink oder Neu Rauch das Figurative nicht aus den Augen verloren, jedoch auch Farb- und Formelemente in ihre Kompositionen einflie- ßen ließen, die sich einer Zuschreibung verweigerten, dabei aber nicht unbedingt Störfaktoren waren, sondern den Kompositionen Spannung gaben.
Rayk Goetze (*1964 in Stralsund) absolvierte sein Studium der Malerei in Leipzig bei den eben genannten Ma- lern. Das Spiel mit den Genres ist ihm also bereits aus dieser Zeit bekannt, ebenso wie das handwerkliche Kön- nen, das hier noch einen besonderen Stellenwert hatte. Doch lässt sich im Vergleich zweierlei festhalten: Zum einen wechselt Goetze innerhalb eines Bildes viel müheloser zwischen malerischen Techniken und Gattungen als es seine Professoren konnten. Zum anderen steht auch das, was man als Lesbarkeit bezeichnen könnte, stärker auf dem Prüfstein als zuvor. Gleichen die Bilder Rauchs und Rinks häufig noch Bildrätseln, in denen die abgebildeten Figuren, Objekte und Gegenstände in einer Art magisch aufgeladenen oder bedeutungsschwe- ren Verbindung zueinanderstanden zu standen, scheint Goetze den Betrachtern die Fährten für eine inhaltliche Interpretation zu verwischen. Natürlich sind wir gewillt, alles, was wir erkennen mit Sinn zu versehen und es zu „lesen“, schließlich hat die Malerei uns dies Jahrhunderte lang gelehrt. Doch im Falle des gebürtigen Stral- sunder geraten wir mit unseren Bemühungen immer wieder an unsere Grenzen.
Rayk Goetze malt Figuren, Porträts, Tiere, Blumen und anderes. Doch je länger man sie anschaut, desto kla-
rer wird, dass sie einem nichts erzählen. Sie sind Einladungen zum Schauen. Im Kern geht es um die Malerei. Die ganze Oberfläche der Leinwand wird mit unterschiedlichen Möglichkeiten des Farbauftrags gefüllt. Kon- zentriert man sich nur auf diese, dann springt das Auge von einer pastosen Fläche hin zu einer mit Schablone exakt gestalteten Struktur hin zu abgekratzten Farbflächen, Gerakeltem. Die oft recht detailliert ausgearbeiteten, bisweilen an die Kunst der Renaissance erinnernden Körper und Gesichter sind im Kosmos des Malers nur eine von vielen möglichen Formen des Ausdrucks, die alle in seinen Gemälden zusammenfinden und so eine male- rische Spannung von hohem Ausmaß kreieren.
Die Frage, warum der Leipziger dann nicht einfach abstrakt malt, wenn er doch gar kein Interesse an einem wie auch immer gearteten Realismus hat, lässt sich mit mehreren Feststellungen beantworten. Zum einen ist, wie bereits ausgeführt, hat eine figurative Malweise ebenso einen hohen Stellenwert in der Kunst Goetzes wie eher abstrakte Setzungen. Sie ist gleichwertig und dient zur Spannung innerhalb des Bildaufbaus. Zum anderen
dient sie als visueller Magnet. Denn ein schöner Körper, ein attraktives Gesicht, etwas Sichtbares, Angenehmes springt ins Auge und lädt zur Betrachtung ein. Stellt man erst einmal fest, dass diese Darstellungen keinerlei Symbolcharakter haben, ist man schon drin in der Malerei.
In diesem Zusammenhang ist noch ein dritter Aspekt zu betrachten, der für das Figurative spricht. Denn Goetze findet Inspirationen und Anleihen in allen möglichen Quellen. Die Renaissance, der sozialistische Realismus und andere Stile beziehungsweise Fragmente davon werden von ihm in seinen malerischen Kosmos überführt. Seine figurativen Elemente sind daher zwar ohne Symbolcharakter, aber nicht referenzlos. Sie finden ihren Ursprung in spezifischen Malweisen, Körperhaltungen oder Kompositionen. Bereits ein flüchtiger Blick auf die Gemälde Goetzes zeigt, dass man den Ursprung seiner Inspiration nicht mehr eindeutig benennen kann. Jedoch rühren die erhaltenen Fragmente an unserem Bildwissen.
Nehmen wir etwa »Study of a Sitting Figure« (2019). Sofort wird der Blick auf einen weiblichen Körper ge- lenkt. Der helle Teint der Beine und vor allem die Darstellung der Brust rufen Bilder hervor: Sandro Botticelli, Gabrielle d’Estrées und andere Namen mögen durch den Kopf schwirren. Auch Studien von Sitzenden finden sich, etwa von Jacopo Pontormo. Und dann ist da noch der aufwendige Faltenwurf, etwas worüber manche Kunsthistoriker stundenlang referieren könnten. Und spätestens wenn man die Tücher genauer betrachtet kippt einiges innerhalb der Logik des Bildes. Die roten Streifen des blauen Tuchs scheinen in Eigenleben zu entwi- ckeln und auch statisch darf man sich fragen, ob denn das Textil so liegen und halten könnte. Ein zweiter Blick auf den Körper schließt ein Renaissancezitat aus. Denn die breitbeinige Haltung ist kaum besonders weiblich. Zudem tauchen dazwischen noch weitere, unscharfe Beinpaare auf, die etwas Virtuelles haben und bei denen es wirkt als läge noch ein Bild unter dem, das wir sehen. Das merkwürdigste der vielen irritierenden Details
ist aber sicher, dass die durch den Bildausschnitt bedingt Kopflose eine nackte Figur an den Beinen hält. Eine umgekehrte Kreuzigung vielleicht? Die emanzipierte Frau, die den Mann in den Händen hält und ihn domi- niert? Der Wunsch, hier deutend an das Werk heranzutreten, ist groß. Doch wirklich glücklich werden einen die Ergebnisse nicht machen. Und da hilft es, sich von der Darstellung zu lösen und sich ganz auf die sehr viel- seitigen malerischen Qualitäten des Bildes einlässt. Die Abriebe, die Schraffuren, die Linien oder die seltsam violette Färbung mit tropfenförmigen Aussparungen, ganz so als seien hier entweder Materialien vermischt, die sich abstoßen oder aber mit Wasser auf einen noch feuchte Lasur getropft worden.
Ähnlich geht es bei dem »Survivor«(2022). Auch hier „liest“ sich das Bild in drei Schritten. Zuerst sehen wir einen athletischer Körper, der an die Antike oder an die Kunst des Nationalsozialismus oder an einen Sportler des sozialistischen Realismus denken lässt – sicher kann man sich nicht sein. Aber eine Assoziation kann man schon haben.
Der erste Anflug einer Lesbarkeit wird jedoch in einem zweiten Schritt verkompliziert, wenn Fuchs, Blumen und Baum (oder andere Elemente) eine zweite Ebene hinzufügen, die Widersprüchliches statt Verbindendes generiert.
Im dritten kommen dann die malerischen Unterschiede. Hier ist es eine pastose, hosenähnliche Form, die jedoch keine wirkliche Kontur, keine Realität besitzt, sondern reine Farbfläche ist. Dünne Linien spannen sich um die Achsel des Athleten, die jedoch inhaltlich referenzlos bleiben, kompositorisch jedoch eine Verbindung zu einem dünnen rötlichen Raster herstellen, das an den Bildrändern aufscheint. Dazwischen verbleibt die Farbe abstrakt und schafft, wenn überhaupt, dann nur eine (Farb-)Atmosphäre, die der Figur eine Stimmung zuspricht. Wer glaubt, der Titel der Arbeiten könnte helfen, irrt. Was sollte hier für ein Überlebender dargestellt sein? Durchsucht man die Kunstgeschichte nach „Überlebenden“, dann sind diese meist optisch das genaue Gegen- teil dieses Athleten? Sofort möchte man wieder losinterpretieren und ein Sinnbild von Macht, Propaganda und Opfern aufbauen. Aber wenn man ehrlich ist: All das ist nicht wirklich da.
Gleiches gilt für den Titel der Ausstellung in der Galerie Kristine Hamann: Schwarzmaler! Weder sind viele Bilder besonders dunkel, noch besonders negativ oder zukunftskritisch.
Rayk Goetze: Ein Maler, der in die Irre führt, um uns die Malerei zu zeigen, wie sie ist.
Marco Hompes