Faszinierendes Leuchten
Ein kleiner und feiner Bericht von Benjamin Unger über unseren Fotokünstler KIRK SORA.
Der Maler ohne Pinsel
Von Stefan Dupke
Amorphe Formen und Flächen in kräftigen, leuchtenden Farben sind das erste, was dem Besucher einer Ausstellung von Kirk Sora begegnet. Vor allem die Farben fallen auf durch ihre Intensität und die Stärke der Kontraste. Der eine oder andere wird sich fragen, ob sie gemalt sind. Schnell wird er bei näherem Hinsehen feststellen, dass es sich bei den quadratischen Bildern in verschiedenen Formaten um Fotografien handelt. Und wenn es Fotografien sind, dann müssen sie doch auch etwas abbilden. Bei der Betrachtung von Bildern im Allgemeinen und bei der von Fotografien noch verstärkt ist es üblich, etwas Vertrautes zu suchen, das abgebildete Objekt erkennen, entschlüsseln zu wollen. Doch was sehen wir auf den Bildern von Kirk Sora? Korallenriffe? Mikroskopaufnahmen von Zellstrukturen? Den Eindruck eines kurzsichtigen Kindes, das im Spieleparadies eines Möbelgeschäfts seine Brille verloren hat? Die Visualisierung einer Wahrnehmungsstörung oder Bewusstseinserweiterung, wie sie sich in mystischer Trance, während einer Nahtoderfahrung, bei hohem Fieber oder im Drogenrausch ereignen kann? All diese Assoziationen sind legitim, doch keine trifft den Kern. Denn letztlich sehen wir nur das eingangs Beschriebene: amorphe Formen und Flächen in kräftigen, leuchtenden Farben.
Farben sind nicht nur das prägende Merkmal von Soras Fotografien – sie sind auch ein wesentlicher Gegenstand seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Sie üben in ihrer Intensität eine Sogwirkung auf den Betrachter aus, der er sich kaum entziehen kann. Im Vergleich zu früheren Arbeiten hat der Lichtbildner in seiner aktuellen Werkgruppe „Nitro“ die Kontraste und die räumliche Tiefe der Bilder noch verstärkt, indem er nun mit schwarzen Hintergründen arbeitet. Geblieben hingegen ist die bewusst gewählte Unschärfe seiner Fotografie, welche die weichen, fließenden Farbverläufe hervorbringt. Geblieben ist auch die Tatsache, dass die abgebildeten Objekte nicht mehr sind als die Farbtuben, Pinsel und Flaschen voller Verdünnungsmittel für einen Maler: Mittel und Werkzeuge der Bildgestaltung und -herstellung. Sie tragen darüber hinaus keine Bedeutung, können und sollen nicht erkannt oder entschlüsselt werden. Kirk Sora bildet nicht ab. Er schafft abstrakte, gegenstandslose Bilder von irritierender Schönheit. Neben der ersten Irritation, dass er eine Fotografie betrachtet, die auf kein reales Objekt verweist, muss der Betrachter sich auch an die auffällige Intensität der Farben gewöhnen, die in ihrer Radikalität ausgehalten werden will. Gleichzeitig kann man sich nicht satt daran sehen, entdeckt immer wieder Details, taucht ein in Schattierungen. Zudem ist das Auge weiterhin gewillt, Formen zu erkennen, selbst wenn diese abstrakt sein mögen. Auch bei langem und wiederholtem Betrachten changieren die unscharfen Formen in der Wahrnehmung zwischen farbigen Flächen und dreidimensionalen Körpern, die einander überlagern – ein Vexierspiel, das sich auch durch die Veränderung der Position zum Bild nicht auflösen lässt. Unabhängig von der Entfernung und dem Betrachtungswinkel bleibt der Inhalt von Soras Lichtbildern reduziert auf Form und Farbe: dem Grundvokabular der Malerei. Erst wenn man aufhört, etwas erkennen zu wollen, kann man zu einer weiteren Ebene der Auseinandersetzung gelangen – es stellt sich Ruhe ein, in der nur der visuelle Eindruck von Bedeutung ist, eine meditative Stille ähnlich wie bei einigen Werken der abstrakten Malerei. So verwundert es nicht, dass neben der Abbildung und der Abbildbarkeit von Licht und Farbe auch deren Wahrnehmung zu den Themen des Künstlers zählen. Seine Bilder sind eine Einladung zur Entschleunigung der eigenen Wahrnehmung.
Will man die Arbeitsweise von Kirk Sora beschreiben, so tut man das vielleicht am treffendsten, indem man sagt, dass er mit der Kamera malt. Die Herangehensweise und der Blick des Künstlers sind mehr die eines Malers als die eines Fotografen. Sein Studium der Malerei schloss Sora als Meisterschüler von Hans Peter Adamski ab. Form und Farbe waren bereits zu dieser Zeit seine Hauptthemen. Auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten jenseits der Beschränkungen der Malerei, entdeckte der junge Künstler die Fotografie als angemessenes Medium für seine Untersuchungen von Farbe, Form und Bildkomposition. Schnell war ihm klar, dass Akribie und Präzision im Versuchsaufbau für sein Experiment wichtig waren. Er wollte unscheinbare Gegenstände fotografieren, die eigentlich nicht dafür ausgelegt sind, die gerade dadurch aber eine größtmögliche Gestaltungsfreiheit bieten und selbst keine Bedeutung transportieren. Für die maximale Detailtreue auch bei starken Vergrößerungen wählte er eine analoge Mittelformatkamera. Für optimale Farbtreue bei gleichzeitiger Erhaltung der Texturen arbeitet er ausschließlich bei Tageslicht – je nach Jahreszeit und Wetterlage herrschen nur zu bestimmten Tageszeiten geeignete Lichtverhältnisse, denen der Künstler seinen Arbeitsrhythmus unterordnet. Jeden Tag einen Rollfilm, jeden Tag zwölf Aufnahmen. Hierbei ist die wechselnde Qualität des Tageslichts einer der Untersuchungsgegenstände des Künstlers und auch für ihn immer wieder überraschend. Um Lichtreflexe weitgehend auszuschließen, hat er eine Konstruktion entwickelt, mithilfe derer er das Tageslicht gezielt auf das Arrangement seiner farbigen Motive lenken kann. Das Bild entsteht dann in der Kamera. Weder Veränderungen des Bildausschnitts oder weitere Nachbearbeitungen kommen für Kirk Sora in Frage: Entweder das ganze Negativ oder gar nicht.
Mit dem Blick eines Malers entwirft Sora seine Bildkompositionen aus dreidimensionalen Objekten und lichtet sie mit einem präzisen mechanischen Instrument ab, das er bewusst zweckentfremdet, um die Abbildungsschärfe auszuschließen. Seine Arbeit erfordert neben der erwähnten Präzision und Disziplin ein hohes Maß an Verständnis von und Erfahrung im Umgang mit Sonnenlicht und Proportionen. Hierbei entstehen Werke, die Farbe, Licht und Raum zum Inhalt haben und die zugleich als sensible Hommage an diese Grundthemen der bildenden Kunst gesehen werden können. Die Arbeiten Kirk Soras sind in zahlreichen Aspekten konstruiert, er ist „Architekt“ seiner Bilder. Und vielleicht fühlt man sich vor diesem Hintergrund erinnert an die Worte Le Corbusiers aus anderem Zusammenhang, an „das weise, korrekte und großartige Spiel der Körper unter dem Sonnenlicht“.
Doch außer seinen Prinzipien der Komposition und Konstruktion kommen bei der Bildgestaltung zwei weitere Faktoren zum Tragen: einerseits der Zufall und andererseits das, was mit Begriffen wie Instinkt oder Einfühlungsvermögen nur unzureichend beschrieben werden kann: das irrationale Moment des Spürens und Wissens, wann ein Bild gut werden wird, wann die Kamera ausgelöst werden muss, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Hier ist Kirk Sora ganz Fotograf.
Wenn Sie um sieben Uhr morgens in Mecklenburg auf einen Mann treffen, der sich über ein Ölfass beugt, dann könnte es sein, dass Sie den Künstler Kirk Sora bei der Arbeit sehen, bei der Erstellung seiner abstrakten Bilder mit ihrer enormem Strahlkraft, mit ihrer Dynamik und ihrer Ruhe. Bilder über Farbe, Licht und Raum. Bilder mit amorphen Formen und Flächen in kräftigen, leuchtenden Farben. (Stefan Dupke, im Mai 2015)