Jubiläumsartikel in der OZ-Überregional
Artikel von Michael Mayer
Erschienen am 13.11.2021 im OZ Online Portal
Erschienen in der Printausgabe am 16.11.2021
Fotos von Nicolle Hollatz
Wismarer Galeristin seit 10 Jahren im Geschäft:
„Wir zeigen, was Malerei kann“
Sie hat so bedeutende Künstler wie Rayk Goetze, Sebastian Menzke oder Kirk Sora entdeckt. Jetzt feiert Kristine Hamann (42) mit den vier Künstlern Sebastian Menzke, Christopher Kochs, Michelle Conceptión, Cigdem Aky und Mario Dalpra Geburtstag.
Wismar
Mal ein Beispiel: eine Party. Geladen sind Langhaarige, Kurzhaarige, Glatzköpfige, dicke und dünne Menschen. Welche im Anzug und welche im eher lässigen Look. Es kommen Ärzte und Künstler, Anwälte und Polizisten, Verkäufer und Lehrer, Manager und Handwerker. Der eine wählt eher links, der andere eher konservativ, einige grün, keiner radikal. Eine äußerst unterschiedliche Mischung bürgerlichen Lebens auf engstem Raum. Was verbindet die Partygäste? Richtig, der Gastgeber. Aber da ist noch etwas nicht Sichtbares, nicht Materielles. Es ist so etwas wie eine Haltung, eine geistige Einstellung.
„Diese Galerie zeigt, was Malerei kann.“
Wer als Künstler auf die Liste der Wismarer Galeristin Kristine Hamann (42) kommen will, braucht kein Outfit oder bestimmtes Aussehen. Aber ohne klare Haltung zur Kunst und zur Malerei im Speziellen? Keine Chance. Der Museumschef Marco Hompes (35), der die Villa Rot in Burgrieden (Oberschwaben) geleitet hat und seit April Leiter des Kunstmuseums Heidenheim ist, sagt über die Galeristin: „Das ist eine Galerie, die zeigt, was Malerei heutzutage kann und wie man Malerei heute denken kann.“
Malerei heute denken! Wie geht das? Seit der Künstlergruppe Zero um Mack, Piene, Uecker stets in Bezug auf den menschheitsgeschichtlichen Nullpunkt 1938-45? Seit Gerd Richter grenzenlos? Seit den Performanceexzessen der Avantgarde kindisch, verspielt, endlos naiv? Kristine Hamann hat da eine andere Haltung. Mit Künstlern, die einen therapeutischen, romantischen Ansatz definieren, kann sie nichts anfangen. Kunst ist Haltung, harte Arbeit, kommt von einem inneren Impuls, einem Impetus, der rausmuss, und von Professionalität. Künstler, die hin und wieder mal ein Bild malen, weil ihnen danach ist, findet man bei ihr nicht. 2011 ist die Kunstunternehmerin, die vor ihrer Galerie eine Konzertagentur betrieben hat, in Wismar mit ihrer Galerie „Kristine Hamann“ an der Schweinsbrücke gegenüber vom Schabbelhaus gestartet. Kunst aus Wismar – also regional? Wieder nein!
„Wiedersehen mit der Gegenwart.“
In der beeindruckenden Liste mit 23 Künstlern der Wismarer Galeristin finden sich mit Carlo Leopold Broschewitz, Rayk Goetze, Sebastian Menzke, Kirk Sora natürlich Künstler, die ihre Wurzeln in MV – Kambs, Stralsund, Neubrandenburg, Wismar – haben, der Region aber längst lokal und intellektuell entwachsen sind. Oder Künstler wie Eugen Kunkel und Knut Wolfgang Maron, die zwar nicht aus dem Land stammen, aber als Dozenten in Greifswald und Wismar und eben als Künstler sehr sichtbare Spuren hinterlassen haben.
Aber der weit größere Teil stammt aus dem Süden, Westen, Südosten Deutschlands, aus Österreich, Wurzeln reichen bis nach Puerto Rico, Texas, in die Türkei: Aktuell zum zehnten Geburtstag stellt sie vier Künstler aus, die ihr Portfolio recht gut spiegeln. Im neuen Ausstellungsraum, den sie großzügig, ironisch den „linken Flügel der Galerie“ nennt, hängen unter dem Titel „Wiedersehen mit der Gegenwart“ Arbeiten des Augsburger Malers Christofer Kochs. In den anderen Räumen hat sie Skulpturen von Mario Dalpra aus Wien sowie Bilder von Menzke (in diesem Jahr Teilnehmer der OZ-Kunstbörse), Cigdem Aky, die aus der Türkei stammt und in Nürnberg lebt, sowie von Michelle Conceptión, die aus Porto Rico stammt, in Texas studiert hat und in Offenbach lebt, als Gruppenausstellung konzipiert.
Die Galeristin sagt: „Es ist für mich eher sinnlos, nur norddeutsche Künstler auszustellen, die hier um die Ecke ihr Atelier haben. Wir brauchen hier nicht fünf Galerien, die alle dieselben Künstler aus MV zeigen. Es geht darum, Kunst über Grenzen hinaus bekannt zu machen. Der Austausch ist wichtig.“ Da sei sie sich mit anderen Galeristen aus MV wie Alexander Gehrke in Warnemünde, Susanne Burmester und Knut Hartwich auf Rügen oder Hubert Schwarz in Greifswald einig.
Schaut man auf Künstler wie Goetze, Menzke, Broschewitz oder Sora, ist es viel weniger die regionale Schnittmenge, die sie eint. Das sind Besessene von einer Idee. Da ist was in ihnen, was rausmuss. Immer und immer wieder. Das drängt, muss bearbeitet werden, entwickelt, die benehmen sich, geht es um ihre Kunst, zum einen wie ADHS-Patienten, können nicht stillsitzen. Zum anderen mit einer pedantischen Arbeitswut, die sie in tiefste Konzentrationssphären treibt.
„Das muss bei denen einfach raus!“
Hört man Goetze oder Menzke über ihre Kunst reden, oder schaut man ihnen bei der Malerei zu, wird einem schwindelig vor fast an Manie grenzender Arbeitsfokussierung, die immer weiter vorantreibt. Solche Künstler interessieren Kristine Hamann. Sie sagt: „Das muss bei denen einfach raus. Die Bilder eines Goetze oder Menzke versteht man doch erst, wenn man sich damit beschäftigt hat.“ Bilder, wie die aus Menzkes Fukushima- oder Corona-Zyklus, die die komplexe Bedrohung und Verschachtelung dieser modernen Welt von einer stringenten Entwicklung aus der fast schon naiv-empathisch figürlichen Darstellung in die komplett komplexe und intellektuelle Abstraktion durchmachen. Man kann bei Goetze oder Menzke wirklich sagen, die Bilder machen was durch, mit mehr als zehnfachen Übermalungen und Auslassungen, bevor sie freigegeben werden.
„Kunst ist keine heilige Kuh.“
Kristine Hamann sagt: „Sebastian zum Beispiel ist ein Künstler, dem es schwerfällt, seine Empathie zu zeigen. Aber er kann sie unglaublich gut in Kunst umsetzen.“ Menzke und Sora waren 2011 ihre ersten beiden Künstler, damals eher unbekannt, jetzt von nationaler Bedeutung.
Die Galeristin entdeckt immer wieder neue Künstler und Ansätze. Sie sagt: „Ich neige zu bestimmten Punkten, Farbe, Raum, Strukturen, Komposition, Haltung.“ Wie bei Kirk Sora, der Fotograf ist. Aber auch das sei, so die Galeristin, Malerei, eben nicht mit dem Pinsel, sondern mit der Linse. „Da wechselt die Malerei nur das Medium.“ Sie sagt über ihre Künstler: „Das, was abgebildet wird, ist keine singuläre Geschichte, sondern die Essenz ein komplexer Zustand.“ Es gehe ihr um die Formen der Malerei.
Und ums verkaufen. Und ums genießen. Hier im Osten werde wegen der übertriebenen Ernsthaftigkeit im DDR-Kunstbetrieb die Kunst doch noch immer wie eine heilige Kuh behandelt, sagt sie. Dabei sei es das sinnliche Erlebnis, das sie fördern möchte. Eine Kundin habe mal auf einer Kunstmesse, nachdem sie ein Bild gekauft hat, sie und den Künstler an die Hände gefasst und laut lachend gesagt: „Jetzt tanzen wir zusammen Ringelreihen.“ Kann man albern finden. Aber Kunst kann glücklich machen, sagt die Galeristin. Man muss es nur zulassen und ausprobieren. Und: „Es ist völliger quatsch, dass Kunst und Kunstkaufen nur was für Reiche und Intellektuelle ist.“ Ausprobieren und zulassen.
Von Michael Meyer