CHRIS TILLE // UNSEEN
15.3.–27.4.2020
Eröffnung am 12.3.2020 ab 19:30 Uhr
Künstlergespräch 20 Uhr
Aufgrund der aktuellen Lage bleibt die Galerie geschlossen.
Sie können diese Ausstellung aber in unserem virtuellen CORONA SHOWROOM besuchen.
Als klassischer Fotograf nutzt Tille die Fotografie als Mittel zur Visualisierung komplexer Datensätze, um wissenschaftliche Prinzipien und Entdeckungen zugänglicher und aussagekräftiger zu machen. Für seine Serien verwendet er Satelliten- und Raumfahrtdaten, u.a. von der NASA, als Ausgangspunkt und arbeitet eng mit dem Max Planck Institut zusammen.
BACK TO THE FUTURE
Fotografie neu denken. Nichtgreifbares sichtbar machen. Zukunft ins Heute übersetzen. Was sich wie eine fantastische Utopie anhört, ist Passion und Ausdrucksform des Fotografen Chris Tille: Er holt uns zukünftige Sternbilder vom Himmel, lässt uns den Urknall betrachten und bannt das älteste Lichtsignal, das je von der Erde aus gemessen wurde, auf Leinwand. Das klingt verrückt? Nein, es ist ein Zusammenspiel aus Wissenschaft und Kunst, Abstraktem und Konkretem – ein Pingpong-Spiel unsere Sinne und eine Herausforderung an unsere Wahrnehmung.
Dabei schlug Chris Tille zu Beginn den klassischen Weg zum Fotografen ein – in Innsbruck erlernte er sein Handwerk und machte sich bald nach seiner Ausbildung selbstständig. Ein Besuch des Schweizer Fotografen, Regisseur und Kameramann Robert Frank in dessen Wahlheimat Kanada war ein Mosaikstein, der ihm auf die künstlerische Bahn lenken sollte – ebenso wie seine Tätigkeit als Assistent von Katharina Sieverding, Meisterschülerin in der Klasse Joseph Beuys. Parallel zu seinen ersten experimentellen Arbeiten begann sich Till als Porträtfotograf zu etablieren, wobei hier sein künstlerischer Ansatz förderlich war und ihm Größen aus Wirtschaft sowie Politik (wie Barack Obama) vor die Kamera zuspielte. Zusammen mit seinen freien Serien, die in seiner Wahlheimat am Tegernsee entstanden sind, wäre es wohl hübsch beschaulich für Chris Tille geworden – Selbstzufriedenheit ist für ihn jedoch ein Fremdwort Neugierde Sein Antrieb: „Ich habe begonnen, immer mehr mit Formen und Strukturen zu experimentieren, abstrahierte viel und lies beispielsweise die Parameter eines Klanges Bilder verändern, um meine Arbeit eine neue Richtung zu geben“, erzählte der sympathische Kreative. „Aber dennoch hatte ich irgendwann das Gefühl, wirklich alles schon einmal fotografiert zu haben – ich konnte keine Bilder mehr sehen und fand keinen Weg aus diesem Dilemma heraus „. In dieser Schaffenskrise erinnerte er sich an den Rat, den ihm Robert Frank mit auf den Weg gab: „Wenn du nicht weiterkommst, habe den Mut, einen Bruch zuzulassen und neu zu starten!“
Für Chris Tille Bestand der Neuanfang darin, Bilder nicht mehr optisch wahrzunehmen, sondern sich auf Daten und Klänge zu konzentrieren. Zwar gefielen ihm seine ersten Pixelbilder, die Punkt für Punkt einen in Frequenz, Ton und Lautstärke fragmentierten Sound festhielten, nicht besonders, dennoch waren diese ein weiterer Schritt, um auf eine neue künstlerische Ebene zu gelangen.
NACH DEN STERNEN GREIFEN
Eher zufällig stieß Chris Tille in dieser Zeit auf den amerikanischen Physiker John G. Cramer, der als erster Wissenschaftler ein Echo des Urknalls in Schallwellen umwandelte und damit hörbar machte. Die reizvoller Aufgabe, diese Schwingungen als Lichtpunkte zu visualisieren und damit ein Stück des Big Bang wahrhaftig darzustellen, war so packend wie komplex – und doch erst der Anfang einer neuen künstlerischen Ausrichtung, die noch so manche Herausforderung für Chris Tille bereit hält. Voller Euphorie über die geglückte Umsetzung, kontaktierte er schließlich das Max-Planck-Institut und stieß auch hier auf Begeisterung: Die Tatsache dass ein Künstler diese Materie einmal nicht willkürlich interpretiert, sondern, wenn gleich in abstrahierter Form, mit tatsächlichen Messdaten arbeitet, öffnete Türen zu verschiedenen Quellen des Instituts. Ein kleiner Stein, der eine kreative Lawine ins rollen brachte. So hatte Chris Tille nun Zugang zu Sternenkatalogen, woraus beispielsweise sein Projekt „10.000 AD“ entstand: Nach exakten Berechnungen, wo sich die hellsten Sterne der Milchstraße in 8000 Jahren befinden werden, erschuf der Kreative ein Bild aus 1,2 Millionen Punkten – 1000 Arbeitsstunden waren für diese Visualisierung notwendig. Eine weitere Arbeit führt uns die Erde im Jahr 2297 vor Augen, wie sie von Chemiker, Journalist und Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz beschrieben wird: Hierfür arbeitete Tille mit Aufnahmen eines neuen Satelliten, der unglaublich scharfe Neuaufnahmen der Erdoberfläche aufzeichnet. Diese wurden von ihm entsprechend den Prognosen angepasst …
Grönland erstrahlt (dank dann inzwischen 9 Millionen Einwohnern) hier beispielsweise im hellsten Licht. Passen die Arbeiten von Chris Tille nun in eine Schublade? Sind sie Datenvisualisierungen? Kunst? Design? Vielleicht ist es gar nicht notwendig, etwas ein Etikett zu verpassen, dass uns das Nicht-Sichtbare, dass Noch-Nicht-Sichtbare und das Noch-Nie-Gesehene vor Augen führt – denn streng genommen ist genau das die Bestimmung eines Kreativen in seiner reinsten Form. (Bettina Schulz)